Warum das Genre an Sichtbarkeit verloren hat – und warum wir es gerade jetzt brauchen

Ja, ich weiß – historische Romane gelten heute oft als nicht mehr sexy und „schwere Kost“.
Und leider ist das keine Einbildung: Wer durch die großen Buchhandlungen streift, findet auf den Tischen nur noch vereinzelt historische Titel. Stattdessen dominieren Krimis, Thriller, Romance, Rom-Coms und New Adult.

Aber warum ist das so. Hier sind sechs Gründe, die erklären, warum der historische Roman ins Abseits geraten ist.

  1. Verschiebung der Lesegewohnheiten

Viele Leser greifen zu schnell konsumierbaren Formaten: Bücher, die man an zwei Abenden durchhat, Serien in kurzen Staffeln, digitale Häppchen, die auf TikTok in 30 Sekunden erklärt werden können.
Historische Romane gelten (zu Unrecht!) als „anspruchsvoll“ und weniger „Snack-tauglich“. Gerade jüngere Zielgruppen scheuen sich vor 500-Seiten-Wälzern – und verpassen dadurch Geschichten, die mehr sind als ein schneller Zeitvertreib.

  1. Trendthemen verdrängen das Genre

In den letzten Jahren haben gesellschaftsnahe Gegenwartsromane, Fantasy und New Adult den Markt überflutet. Das Problem: Die Flächen in den Buchhandlungen sind begrenzt.
Was nicht sofort hohe Verkaufszahlen bringt, wird ins Regal oder Lager verbannt. Historische Romane verkaufen oft beständig, aber nicht explosionsartig – und verlieren so den Kampf um den prominentesten Platz.

  1. Längere Produktionszyklen

Gute historische Romane brauchen Zeit – viel Zeit. Recherche, Quellenstudium, Detailarbeit.
In einer Buchwelt, in der manche Verlage am liebsten vier Titel pro Jahr von einer Autorin sehen, um sie „sichtbar“ zu halten, ist ein zweijähriger Rhythmus fast schon ein Risiko.
Qualität braucht Geduld – doch Geduld ist heute ein knappes Gut.

  1. Veraltetes Image

Noch immer hängt am Genre das Etikett „für ältere Leserinnen“ oder „altmodisch“.
Dazu kommt die oft stereotype Covergestaltung: Frau im historischen Kostüm, Rücken zum Betrachter, weite Landschaft im Hintergrund.
Das ist vertraut – aber es wirkt auf jüngere Leser nicht neugierig machend. Dabei könnten gerade moderne, mutige Cover einen frischen Blick auf historische Stoffe werfen.

  1. Konkurrenz durch Streaming

Historische Stoffe sind auf Netflix, Amazon oder im Kino oft spektakulär umgesetzt: Bridgerton, The Crown, Babylon Berlin sind hier nur ein paar Beispiele .
Diese Produktionen bieten den schnellen, visuellen Reiz – und lassen den Eindruck entstehen, man habe „die Geschichte schon erlebt“. Das Buch verliert an Reiz, obwohl es oft viel tiefer und differenzierter erzählt.

  1. Verlagsstrategien und Teufelskreise

Manche Verlage haben ihre historischen Reihen verkleinert oder ganz eingestellt, weil Marktanalysen sinkende Verkäufe zeigten. Das führt zu weniger Neuerscheinungen → weniger Sichtbarkeit → noch weniger Nachfrage.
So entsteht ein Teufelskreis, der schwer zu durchbrechen ist.
Ist der historische Roman also Vergangenheit? Gar tot?

Warum wir den historischen Roman gerade jetzt brauchen

Nein – der historische Roman ist nicht tot. Er ist nur aus dem Rampenlicht verschwunden. Aber er war noch nie so wichtig wie heute.

Denn Geschichte ist lebendig. Sie erzählt nicht nur von Königen, Kriegen und Kostümen, sondern von Menschen, die vor ähnlichen Herausforderungen standen wie wir heute:
Liebe, Verrat, Machtmissbrauch, gesellschaftlicher Wandel, Kampf um Rechte.

Und – das ist mir besonders in meinen Romanen wichtig – historische Romane machen Frauen sichtbar, die in den Geschichtsbüchern oft nur am Rand auftauchen.

Female Empowerment in der Vergangenheit

Viele historische Heldinnen mussten doppelt kämpfen: gegen äußere Umstände und gegen gesellschaftliche Erwartungen.
Ob Kaufmannstochter, Bäuerin, Königin oder versklavte Frau– ihre Wege erzählen von Mut, Überlebenswillen und Veränderung.

Diese Geschichten sind keine/nicht nur romantische Zeitreisen, sondern Spiegel für heutige Debatten:

Geschichte als Werkzeug für Veränderung

Wer historische Romane liest, begreift: Die Probleme von heute sind oft nur Neuauflagen alter Muster.
Diskriminierung, Machtmissbrauch, Ungleichheit – all das gab es schon früher. Aber wir können aus den Fehlern und Erfolgen der Vergangenheit lernen.

Und wir können etwas noch Wichtigeres tun: Frauen zurück in die Geschichte holen.
Nicht als Beiwerk oder Opfer, sondern als handelnde Figuren, als Gamechangerinnen, die ihre Zeit geprägt haben.

Fazit: Zeit, dem Genre neues Leben einzuhauchen

Der historische Roman muss sich nicht verstecken. Er braucht nur neue Stimmen, mutige Perspektiven und eine zeitgemäße Verpackung.
Er kann unterhalten, berühren und gleichzeitig Wissen vermitteln – und er kann Frauen eine Bühne geben, die sie nie hatten.

Vielleicht ist es Zeit, dass wir das Genre wieder lauter feiern. Nicht als „verstaubtes Regal-Fossil“, sondern als Schatztruhe voller inspirierender, kluger, leidenschaftlicher Geschichten.

Geschichte gehört nicht ins Museum. Sie gehört mitten ins Leben. Und der historische Roman ist einer der besten Wege, sie dort hinzubringen.

💡 Sei Teil der #historyissexy-Bewegung

Ich habe den Hashtag #historyissexy ins Leben gerufen, um genau das zu tun: Historische Romane sichtbar machen, starke Frauen (ja, klar, natürlich auch Männer) der Vergangenheit ins Rampenlicht holen, vergessene Geschichten erzählen.
Wenn du Lust hast, mitzuwirken – egal ob als Leserin, Bloggerin, Buchhändlerin oder Autorin – nutze den Hashtag, teile Beiträge, stelle Bücher vor und hilf uns, das Genre wieder ins Gespräch zu bringen.

Denn:

Historische Romane sind nicht tot – sie sind unser Schlüssel zu mutigen Frauen (ja, auch Männern), vergessenen Geschichten und zeitlosen Wahrheiten.
(Ines Keerl)

#historyissexy

Infobox

Inès Keerl ist Autorin, Drehbuchautorin und passionierte Geschichtensammlerin. Ihre Tafelberg-Romanreihe „Die Löwin vom Tafelberg“ und „Die Frauen vom Tafelberg“ erzählt von den frühen Jahren der Kapkolonie und den außergewöhnlichen Frauen, die sie prägten. Mehr unter: [www.ineskeerl.com]

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