Auf der Frankfurter Buchmesse durfte ich „Die Frauen vom Tafelberg“ vorstellen – ein bewegender Moment voller Geschichten, Emotionen und Inspiration.
Bitte findet hier das komplette Interview, das Nora Dutz vom Emons Verlag mit mir geführt hat.
Den Anfang unseres Gesprächs bildete die Frage nach der weiblichen Selbstermächtigung – einem Kernmotiv meiner Tafelberg-Reihe.
Wie definieren Sie weibliche Selbstermächtigung in Ihren Romanen – und welche inneren oder äußeren Kräfte treiben Ihre Heldinnen an?
Das ist für jeden Roman anders und auch für jeden Charakter. In meiner Tafelberg-Reihe habe ich ja drei sehr verschiedene Protagonistinnen mit unterschiedlicher Herkunft – eine Europäerin, eine Inderin und eine Indigene. Jede definiert ihre Selbstermächtigung anders. Was sie aber eint: Sie wollen zu sich finden -– jenseits der Rollen, die Gesellschaft, Familie oder Geschichte ihnen zuschreiben. Im Einzelnen will Catharina Unabhängigkeit, Eva/Krotoa Akzeptanz, Amisha Freiheit und Geld.
Und sie wollen auf ihre Weise Grenzen verschieben – keine Revolution aber für ihr Leben. Ihre inneren Kräfte sind Sehnsucht, Wut, vor allem Wut, und der Wunsch nach Würde. Die äußeren Kräfte sind Armut, gesellschaftliche Zwänge, Kolonialismus.
Zwischen diesen Polen behaupten sich meine Frauen – nicht als Heldinnen im klassischen Sinn, sondern als Überlebende, die ihr eigenes Leben zurückerobern.
Nach dieser Reflexion über innere und äußere Antriebskräfte lenkte Nora Dutz das Gespräch auf den Moment der Flucht – als Wendepunkt und Beginn jeder inneren Reise.
In allen drei Büchern wird Flucht oder ein radikaler Neuanfang thematisiert – sei es real, emotional oder symbolisch. Was macht diesen Moment erzählerisch so kraftvoll?
Damit beginnt die Heldenreise meiner Figur, in diesem Fall die von Catharina Ustings. Das sich selbst finden. Flucht ist in Die Löwin vom Tafelberg keine Feigheit, sondern ein Akt der Selbstrettung. Catharina flieht aus Lübeck, da sie den Punkt erreicht hat, an dem Stillstand unerträglicher wird als jedes Risiko. Dieser Moment ist erzählerisch so kraftvoll, weil er alles in Bewegung bringt – innerlich wie äußerlich. Aus der Flucht wird ein Neubeginn. Und die Chance, Geschichte umzuschreiben, wenigstens die eigene.
Von der individuellen Flucht wandten wir uns dem größeren gesellschaftlichen Kontext zu – der Frage, ob und wie literarische Figuren Wandel sichtbar machen können.
Ihre Heldinnen stoßen nicht nur eigene Entwicklungen an, sondern wirken auf ihr Umfeld. War es Ihr Anliegen, auch strukturelle Veränderung literarisch sichtbar zu machen?
Ja, und das brauchte ich gar nicht mal erfinden. Meine Protagonistin Catharina Ustings hat das vor über 360 Jahren selbst in die Hand genommen. Und die Veränderung begann alles andere als laut. Catharina Ustings, die Gründerin des Weinguts Steenberg, hatte keine Macht im klassischen Sinn, konnte nicht per se strukturell verändern. Die Männer an ihrer Seite starben – und jedes Mal stand sie vor dem Nichts. In jener Zeit war eine Frau ohne Mann schlicht schutzlos. Also tat sie das Einzige, was ihr blieb: Sie heiratete wieder, nicht aus Romantik, sondern aus Überlebenswillen. Aber ich bin mir sicher, sie hatte eine Vision. Stück für Stück hat sie sich etwas Eigenes erkämpft –mit Mut, mit einem klaren Blick für das, was möglich war. Sie brauchte Land. Nur mit Landbesitz würde sie unabhängig werden. Aber um das zu verwirklichen brauchte es auch einen progressiven Kommandanten wie Simon van der Stel, der sich auch in seiner Eitelkeit und Selbstherrlichkeit über die Rechte der Vereinigten Ostindischen Compagnie hinwegsetzte. Und mit dem Besitz von Steenberg hatte sie Sicherheit, ein eigenes Fundament. Und hat tatsächlich etwas verändert in Bezug auf Frauenrechte. Auch Frauen danach konnten Land erwerben. Und haben es auch bekommen. In ihrer Zeit noch zwei weitere. Zumindest die konnte ich ermitteln.
Oder nehmen wir Amisha, die bengalische Sklavin, die wegen Mordes angeklagt war und Zeit ihres Lebens auf Notwehr plädierte und aus der Sklaverei entlassen werden wollte. Sie hat es geschafft. Mit Beharrlichkeit. Mit einem ungeheuren Willen, als versklavte Frau Gehör zu finden. Eigentlich unmöglich. Aber sie hat es geschafft und ist begnadigt worden.
Mich interessiert, wie Frauen in verschiedenen Zeiten unter völlig ungleichen Bedingungen denselben Kern bewahren: nämlich die Weigerung, klein zu bleiben.“
Nach den inneren Kämpfen und gesellschaftlichen Kräften rückten nun die äußeren Bühnen meiner Romane in den Mittelpunkt – Orte, die selbst zu erzählerischen Figuren werden.
Ihre Romane sind tief in spezifischen Orten und Zeiten verankert. Welche Rolle spielt der Schauplatz für Ihre Geschichte – als mehr als bloße Kulisse?
Ich schreibe ja nach wahren Begebenheiten – bei mir stand also zuerst die Protagonistin fest. Catharina Ustings.
Ich wollte ihren Lebensweg nachzeichnen, und der führte von Lübeck bis nach Kapstadt. Da konnte ich weder den Ort noch die Zeit verändern, beides war gegeben.
Aber das war gar kein Nachteil. Im Gegenteil: Ich konnte mich ganz auf das konzentrieren, was mich interessiert – wie eine Frau in dieser Zeit überlebt, wie sie ihren Platz findet.
Ich habe diese Orte auf mich wirken lassen, bin selbst dort gewesen, habe gesehen, wie viel noch spürbar ist.
Der Ort ist also keine Kulisse. Er ist Wahrheit. Er ist passiert. Und er hatte großen Einfluss auf meine Hauptfigur. Und ich wollte ihn so zeigen, wie er ist, rau, hart, aber auch schön, liebenswert. Ich hoffe, dass man beim Lesen in diese Wahrheit versinkt und die Atmosphäre spürt. Es war mir wichtig, diesen realen Boden unter den Füßen meiner Figuren spürbar zu machen.
Von den Landschaften führt der Weg zwangsläufig zu den historischen Fakten, die jedes erzählerische Gerüst stützen – und zu der Frage, wie Geschichte lebendig bleibt, ohne zur reinen Chronik zu werden.
Historische Ereignisse fließen zentral in Ihre Romane ein. Wie balancieren Sie Faktentreue und Fiktion?
Fakten sind für mich wichtig. Auch für die Glaubwürdigkeit eines historischen Romans. Ich habe alles gelesen, was ich in die Finger kriegen konnte: Chronologien, Briefe, Dokumente, Reiseberichte. Tausende von Seiten. Faktentreue war für mich sehr wichtig.
Habe verglichen, Zeittafeln erstellt, Mindmaps für die Personen und Beziehungen erstellt. Die Fakten stimmen – sie sind alle belegbar. Aber natürlich musste ich sie dramaturgisch verdichten, damit daraus ein Roman wird und kein Geschichtsbuch.
Ob die Figuren genauso gehandelt oder gefühlt haben, weiß natürlich niemand. Das ist der Teil der Fiktion.
Ich war ja schließlich nicht dabei – ich habe nicht die Kerze gehalten.“
Aber wie ich auch in meiner Apologie im ersten Band geschrieben habe: Sie könnten der Wahrheit entsprechen.
Schließlich sprachen wir über Sprache selbst – und darüber, wie sich historische Tiefe und Lesefreude vereinen lassen, ohne dass das eine das andere verdrängt.
Trotz ernster Themen gelingt Ihnen ein erzählerischer Ton, der zugänglich bleibt. Wie gelingt dieser Spagat zwischen Tiefgang und Lesbarkeit?
Ich komme ursprünglich aus dem Drehbuchbereich – und dort lernt man, klar und verständlich zu schreiben.
Das habe ich beibehalten. Für mich bedeutet Tiefgang auch nicht, kompliziert zu schreiben. Lesbar zu schreiben kann manchmal viel schwieriger sein. Für mich liegt Tiefgang auch darin, wenn Bilder im Kopf entstehen, wenn Leserinnen fühlen, was zwischen den Zeilen passiert.
Man kann sehr wohl literarisch schreiben und trotzdem zugänglich bleiben.
Historische Romane sollen wieder sexy werden – dass man sie nicht als ‚verstaubte Geschichte‘ abtut, sondern als lebendige Auseinandersetzung mit dem, was uns geprägt hat.
Wenn ich verschachtelt schreibe, verlieren die Leserinnen den Zugang. Aber wenn ich sie hineinziehe – mit Emotion, Atmosphäre, Rhythmus –, dann beginnt Geschichte zu leben. Und das ist mein Ziel.
Im dritten Themenblock ging es um jene Bande, die uns – ob wir wollen oder nicht – formen: Familie, Herkunft und Erinnerung.
Familie ist in ihrem Roman ein zentrales Motiv – oft zwischen Liebe, Pflicht und Widerspruch. Warum?
Familie ist für mich der kleinste und zugleich der stärkste Mikrokosmos, den es gibt.
Ob man sie sich ausgesucht hat oder nicht – sie prägt uns. Sie fordert uns heraus. Und sie hält uns fest.
In früheren Jahrhunderten war Familie oft gleichbedeutend mit Überleben. Tja, und Catharina hatte leider nur eine Pflegefamilie. Eine, die sie nicht liebte. Und auf diese war sie angewiesen. Gerade Familie können wir am wenigsten kontrollieren. Und das gilt für meine Figuren genauso wie für uns heute.
Familie sollte Schutz bieten, Geborgenheit. Oft ist das nicht so.
In Die Löwin vom Tafelberg und Die Frauen vom Tafelberg war Catharinas Ausgangsfamilie ein Gefängnis, kein Schutz. Was sie wollte war Familie und Schutz. Das hat sie dann erreicht.
Das Gespräch weitete sich anschließend auf Generationenfolgen aus – und darauf, wie Erinnerung über Zeiten hinweg weiterwirkt.
Mehrgenerationen-Perspektiven – ob explizit oder implizit – durchziehen Ihre Bücher. Welche Stärke liegt in dieser Erzählweise?
Bei mir ist das besonders bei Eva, der Goringhaicona und ihrer Tochter Pieternella sichtbar.
Pieternella ist ein Kind zwischen zwei Welten – halb dänisch, halb Goringhaicona.
In ihr spürt man, was Kolonialisierung auf der persönlichen Ebene bedeutet hat:
Zerrissenheit, Identitätssuche, Zugehörigkeit … und Entfremdung zugleich.
Diese Brüche wollte ich fühlbar machen.
Was passiert, wenn Herkunft eine Last ist.
Ich glaube, Mehrgenerationen-Geschichten zeigen, dass Geschichte nie wirklich abgeschlossen ist.
Was in einer Generation verschwiegen wird, taucht in der nächsten wieder auf – als Sehnsucht, als Schmerz, manchmal auch als Stärke.
Und genau darin liegt für mich die Tiefe:
Geschichte lebt weiter – in Menschen, in Entscheidungen, in Blicken. Sie zeigt, dass Erinnerung nicht vergeht. Sie verändert nur ihre Gestalt.
Von der generationsübergreifenden Perspektive führte der Weg ganz natürlich zur Frage nach den Wurzeln – und danach, was Herkunft für meine Figuren bedeutet.
Herkunft wird in Ihren Romanen nicht als festes Schicksal, sondern als Ausgangspunkt erzählt. Was bedeutet das für Ihre Figuren?
Meine Protagonistinnen wollten alle die Grenzen ihrer Herkunft sprengen. Mit mehr oder weniger Erfolg. Sie wollten sich nicht durch das definieren, woher sie kommen, sondern durch das, was sie daraus machen.
Gerade Catharina Ras, die Gründerin von Steenberg, ist dafür das beste Beispiel.
Sie hat Männer verloren, sie musste heiraten, um zu überleben, und sie hat trotzdem nie aufgegeben.
Erst das Land – dieses Stück Erde unter dem Tafelberg – hat ihr Sicherheit gegeben.
Sie hat aus Herkunft Zukunft gemacht.
Herkunft ist Erinnerung, ja auch Wurzel, die man in sich nicht ausgraben kann, aber sie ist auch Auftrag.
Man darf sich nicht von ihr gefangen halten lassen. Aber das ist so schwer, wenn die Gesellschaft dagegen ist.
Pieternella zum Beispiel hat Kapstadt verlassen und ist erst als angesehene und mit einem Holländer verheiratete Frau zurückgekehrt.
Zum Ende unseres Gesprächs stellte Nora Dutz die vielleicht wichtigste Frage – was vom Lesen bleiben soll.
Wenn Ihre Leser:innen das Buch zuklappen – was wünschen Sie sich, dass zurückbleibt?
Ich wünsche mir, dass die Leserinnen – und Leser – spüren, auf welchen Fundamenten wir stehen.
Dass sie erkennen: Die Vergangenheit liegt nicht einfach hinter uns.
Sie strahlt in die Zukunft.
Alles, was wir heute sind – unsere Freiheiten, unsere Möglichkeiten –, das hat einmal jemand erkämpft.
Und manchmal war das jemand, der gar nicht wusste, dass er Geschichte schreibt.
Ich möchte, dass man versteht, dass Geschichte nicht aus Daten besteht, sondern aus Menschen.
Aus Entscheidungen.
Aus Mut.
Und vielleicht bleibt ein Gedanke hängen:
We are because of them.
Ohne Frauen wie Catharina Ras gäbe es keine Steenberg-Weine,
ohne Menschen wie Eva oder Amisha keine dieser Geschichten.
Ich wünsche mir, dass die Figuren nachklingen – dass man sie nicht vergisst.
Dass jemand beim Lesen denkt:
„So schwer war ihr Weg – und trotzdem hat sie gelebt, geliebt, hoffentlich auch mal gelacht.
Und wenn dann jemand beim Lesen Lust bekommt, ein Glas Steenberg-Wein zu öffnen – dann hätte Catharina sicher nichts dagegen.
